Kürzlich bekam ich einen Anruf von einem Sammler. Er hatte einige Beitel in seiner Sammlung mit Klingen, die zur Schneide hin breiter werden. Er wollte gerne wissen, von welchen Holzarbeitern solche Beitel verwendet wurden und wie alt sie etwa sein könnten.
Mir kam diese Form zwar bekannt vor, aber zunächst konnte ich seine Frage nicht beantworten. In Katalogen hatte ich solche Beitel noch nicht gesehen, also mussten diese Werkzeuge wohl etwas älter sein. Ein guter Start für eine solche Suche ist z. B. die "Werkzeugkunde" von Franz Wertheim, wo auch exotischere Werkzeuge und solche aus den Nachbarländern abgebildet und vor allem auch detailliert beschrieben sind. Tatsächlich fand ich dort die Antwort, die mich sehr überrascht hat. Wertheim schreibt:
"Fig. 141, Taf. VII, zeigt ein deutsches Stemmeisen. Die Schneide ist hier nur von einer Seite, bei sehr vielen Werkzeugen dieser Art jedoch auch von zwei Seiten zugeschärft und zwar so, dass die beiden Seitenflächen gegen die Mitte der Dicke sanft zusammenlaufen, was jedoch beim Ausstemmen senkrechter Wände nicht vortheilhaft ist.
Die deutschen Stemmeisen haben das Eigenthümliche, dass ihre schmalen Seitenflächen gegen das Heft hin zusammenlaufen, was den Uebelstand mit sich führt, dass die Schneiden beim Nachschleifen immer schmäler werden."
"Deutsche" Stemmeisen? Ich war immer der Meinung, daß man deutsche Beitel von englischen allenfalls an der Form der Griffe unterscheiden kann. Aber das war wohl nicht immer so. Und nachdem ich nun einen Namen hatte, war es relativ einfach mehr Informationen darüber zu finden.
Tatsächlich war nicht so sehr die breiter werdende Klinge der entscheidende Unterschied zu den heutigen Beiteln, sondern die Art der Schneide, die "von beiden Seiten zugeschärft" war. Man stelle sich vor, in einer heutigen Schärfanleitung die Empfehlung zu finden, seine Beitel mit einer Fase auf der Spiegelseite zu versehen!
Deutsche und englische Stemmeisen im Vergleich zeigt die folgende Abbildung aus dem Katalog der Firma Joh. Weiss von 1861:
Karl Karmarsch unterscheidet in seinem "Handbuch der mechanischen Technologie" (1851) zwischen dem einseitig zugeschärften Stechbeitel und dem zweiseitig geschärften Stemmeisen, das aber auch "dünn in der Klinge (ist), daher nicht zu grober Arbeit geeignet". "Gewöhnlich wird die Zuschärfung durch eine allmälige, bogenförmig zulaufende Verdünnung der Klinge gebildet, öfters aber auch durch eine deutlich erkennbare gerade Facette auf jeder Seite." Noch deutlicher ist der Unterschied bei den Lochbeiteln. Die englischen und französischen Lochbeitel hatten damals schon die uns heute bekannte Form. Über die deutschen schreibt er:
"Die deutschen Lochbeitel gleichen völlig den englischen (...), nur daß sie die zweiseitige Zuschärfung haben. Diese dient ihnen indeß keineswegs zur Empfehlung; denn da sie zunächst bei der Schneide keine ebene Fläche darbieten, welche dem Werkzeuge zur geraden Führung an der auszuarbeitenden Holzfläche dienen könnte: so fällt diese Letztere leicht unregelmäßig und nicht gehörig glatt aus. Aus diesem Grunde haben die Lochbeitel nach englischer Form auch schon in sehr vielen deutschen Werkstätten Eingang gewonnen."
Daß sich solche verbesserten Werkzeuge, die zu dieser Zeit vor allem aus England kamen, bei uns nicht leicht durchsetzen konnten, zeigt Karmarsch an anderer Stelle anhand vieler Beispiele auf. Und er bedauert, "daß der Deutsche Handwerker im Allgemeinen schwer daran geht, sich an neue Geräthe und Arbeitsmethoden zu gewöhnen, und überdieß ein etwas höherer Preis des Werkzeugs selbst in den Fällen ihn abschreckt, wo eine wesentlich bessere oder vortheilhaftere Wirkung reichlich dafür entschädigen würde."
Es scheint so, als ob diese "deutschen" Stemmeisen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Platz im Werkzeugschrank zugunsten der besseren "englischen" Beitel räumen mußten. Und obwohl ich gerne ein paar solcher Stemmeisen in meiner Sammlung hätte, bin ich doch froh, nicht damit arbeiten zu müssen.
Schöne Beispiele für die Palette der Beitel in alten deutschen Schreinerwerkstätten findet man übrigens in den
Hausbüchern der Nürnberger Zwölfbrüderstiftungen, z. B.:
http://www.nuernberger-hausbuecher.de/75-Amb-2-279-69-v
http://www.nuernberger-hausbuecher.de/75-Amb-2-279-75-v
http://www.nuernberger-hausbuecher.de/75-Amb-2-279-84-r
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